Eine ukrainische Flagge weht auf einer Dachspitze vor einem düsteren Himmel. Die Flagge, gehisst über einem rosa Gebäude mit Satellitenschüsseln und Schornsteinen, kontrastiert lebhaft gegen die dunklen Wolken. Eine ukrainische Flagge weht auf einer Dachspitze vor einem düsteren Himmel. Die Flagge, gehisst über einem rosa Gebäude mit Satellitenschüsseln und Schornsteinen, kontrastiert lebhaft gegen die dunklen Wolken.
Demokratie und Menschenrechte

Europäische Jugendarbeit in stürmischen Zeiten

Rückblick auf eine deutsch-ukrainische Online-Tagung

Junge Menschen gehören zu Opfern des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Sie sind erschöpft, aber sie geben nicht auf und sind weiterhin ein aktiver Teil der Zivilgesellschaft. Währenddessen wachsen bei ihren Altersgenoss*innen in Deutschland die Zukunftsängste, die der Krieg auslöst. Wie kann das zusammenkommen und wie kann im Jugendaustausch etwas Fruchtbares daraus entstehen? Eine deutsch-ukrainische Online-Tagung am 1. Oktober 2025 lieferte dafür Anhaltspunkte.

09.10.2025 / Christian Herrmann

Mehr als dreieinhalb Jahre sind seit Beginn des vollflächigen russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine vergangen und ein Ende ist nicht abzusehen. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene sind eine besonders vulnerable Gruppe, die einen großen Teil der Kriegslast zu tragen hat – als Soldat*innen an der Front, als Geflüchtete und Vertriebene im In- und Ausland, als Opfer der russischen Drohnen- und Raketenangriffe und als Unterstützer ihrer Familien, wenn ein Elternteil beim Militär ist. Sie sind als Folge des Krieges eine schrumpfende demografische Gruppe. Etwa 10 Millionen junge Menschen im Alter zwischen 14 und 35 Jahren lebte bis 2022 in der Ukraine. Heute sind es nach Expert*innenmeinung noch 6 bis 7 Millionen. Veronika Dyakovych von NUMO, einem der beiden Dachverbände für Jugendorganisationen, sieht junge Menschen aber nicht ausschließlich als Opfer. 25% engagieren sich ehrenamtlich und fordern Mitsprache ein. Dabei hat man in den letzten Jahren Fortschritte gemacht. Jugendbeiräte beraten den Präsidenten der Ukraine, das Ministerkabinett sowie lokale und regionale Verwaltungen. Ein neues Jugendgesetz ist in Vorbereitung. Dennoch bleibt viel zu tun. 6.000 bis 7.000 Jugendzentren müsste es in der Ukraine geben, um ein flächendeckendes Angebot zu schaffen, bemängelte Yuriy Yuzych vom Pfadfinderverband Plast. Tatsächlich sind es nur 300 bis 400. Eine staatliche Unterstützung für Jugendstrukturen gibt es nicht, sagte Veronika Dyakovych.

„Wir dürfen nicht vergessen, dass es Jugendarbeit im europäischen Verständnis des Wortes erst seit etwa 10 Jahren gibt, nämlich seit der Revolution der Würde 2014“, stellte Olena Podobied-Frankivska, Präsidentin von NUMO, fest. Aber: Ist unter so ungleichen Bedingungen die Begegnung junger Menschen zwischen Deutschland und der Ukraine überhaupt möglich und sinnvoll? Tim Bohse, der selbst für das Bildungs- und Begegnungszentrum KURVE in Wustrow als Internationale Friedensfachkraft in der Ukraine arbeitet und Ideengeber für die Online-Tagung war, ist davon überzeugt. „Wir können den Jugendaustausch mit der Ukraine intensivieren und die Förderung von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen ausbauen“, sagte er. Dass das für beide Seiten gewinnbringend ist, zeigten die vielen guten Praxisbeispiele, die während der Online-Tagung vorgestellt oder von den Teilnehmer*innen zur Sprache gebracht wurden.

Viele gute Beispiele für die Zusammenarbeit

„Unser Jugendorchester spielt häufig bei Beerdigungen von Soldaten“, berichtete Vita Kostiuk vom Jugendzentrum Keneberg im Dorf Studjanka, „das ist für die Jugendlichen oft deprimierend und sie wissen nicht, wie sie mit dem Schmerz der Angehörigen umgehen sollen“. „Bei ihren Aufenthalten in Deutschland haben sie gelernt, dass ihre Musik auch Freude bereiten kann, dass die Menschen ihnen gerne zuhören und dass es sich lohnt, für solche Konzerte zu üben“, fuhr sie fort.

Die THW-Jugend hat eine ukrainische Partnerorganisation, die „Schule der Sicherheit“. In einer Mischung aus Training und Jugendbegegnung werden junge Menschen zu Ersthelfern im Katastrophenschutz ausgebildet. Sie sind zur Stelle, wenn russische Raketen eingeschlagen sind und retten Leben. Svitlana Sydorets ist stolz, auf das Erreichte: „Wir bilden Multiplikatoren aus, die ihr Wissen weitergeben. So haben wir 16.000 Ersthelfer ausgebildet.

Oleksandr Starostin von der Bildungsstätte Bredbeck führt deutsch-polnisch-ukrainische Begegnungen und Seminare zum 2. Weltkrieg durch. Die Last der Geschichte liegt schwer auf den drei Ländern: der deutsche Überfall auf Polen und die Sowjetunion, die Massaker ukrainischer Nationalisten an der polnischen Zivilbevölkerung in Wolhynien, die Rache der Polnischen Heimatarmee an ukrainischen Zivilist*innen, der Kampf um Unabhängigkeit und nationale Selbstbestimmung – und doch scheint die Geschichte für viele junge Menschen weit weg zu sein. „Für viele junge Menschen ist es das erste Mal, dass sie sich mit ihrer Familiengeschichte beschäftigen“, erzählte Starostin, „sie haben mit Eltern und Großeltern gesprochen und Fragen gestellt“. Auf einmal ist die Geschichte gar nicht so weit weg und liefert Antworten auf die Frage, „wer bin ich?“ Eine Frage, die gerade junge Menschen in der Ukraine angesichts des aktuellen Krieges stark beschäftigt.

An guten Beispielen mangelt es also nicht. Auch nicht am Geld, das machte ein eigener Tagungsblock zur Finanzierung deutlich. Die Weichen für vielversprechende Projekte sind schon in der Vergangenheit gestellt worden. Nun kommt es darauf an, die deutsch-ukrainische Zusammenarbeit auszuweiten und zu intensivieren – viele Teilnehmer*innen der Online-Tagung betonten diesen Wunsch und sind dafür offen. Für beide Seiten gibt es dabei etwas zu lernen, „zum Beispiel vom Mut der jungen Menschen in der Ukraine“, wie IJAB-Direktor Daniel Poli betonte.

Das Interesse an der Veranstaltung war groß – etwa 160 Menschen aus der Ukraine und aus Deutschland hatten sich angemeldet. Viele brachten ihre Vorstellungen ein und machten Vorschläge, wie es weitergehen könnte. Die Organisatoren – NUMO, das Deutsch-Polnische Jugendwerk und IJAB – werden die Veranstaltung auswerten und weitere Schritte planen.

Für alle, die mehr Einblicke in die Online-Tagung gewinnen möchten, steht weiterhin die Download-Seite mit den Präsentationen zur Verfügung.

INT 4.0 – Namensnennung CC BY 4.0
Dieses Werk ist lizenziert unter einer INT 4.0 – Namensnennung CC BY 4.0 Lizenz.
Ein junger Mann spricht in ein Mikrofon
Über Demokratie und Menschenrechte

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