ijab.de: Jürgen, dein Projekt jugend.beteiligen.jetzt zur digitalen Jugendbeteiligung läuft zum Jahresende aus. Warum?
Jürgen Ertelt: Das ist der natürliche Verlauf von Projekten. Sie sind immer etwas Vorübergehendes, sie beginnen und sie enden. Wir hatten jetzt die zeitliche Grenze erreicht, über die hinaus eine Förderung nicht mehr möglich ist. Aber natürlich sehen alle beteiligten Partner und auch das fördernde Bundesjugendministerium den Bedarf beim Thema. Deshalb wird die Webseite des Projekts weiter durch IJAB gepflegt werden und auch die digitalen Tools – Camper für Barcamps und das Etherpad Yopad – bleiben weiter erreichbar.
ijab.de: Ein neues Projekt hat bereits begonnen – Jugendverstärker. Was soll da verstärkt werden?
Jürgen Ertelt: Vor dem Hintergrund der Erfahrungen von jugend.beteiligen.jetzt wird der Jugendverstärker das Thema digitale Beteiligung von Jugendlichen fortführen. Die Grundannahme des Projektes ist: Es gibt Themen, die für Jugendliche von Bedeutung sind, von denen wir aber nichts oder nur wenig wissen. Die Themen Klimawandel und Urheberrecht im Internet sind sicher nicht die einzigen Themen, die für junge Menschen relevant sind, Politik aber nicht als Jugendthema frühzeitig identifiziert hat. Ich nenne mal ein Beispiel. Bei jugend.beteiligen.jetzt hatten wir mal einen Beteiligungsprozess in Heiligenhaus in NRW. Die Verwaltung wollte wissen, was Jugendliche gerne ändern würden. Überraschenderweise beklagten die Jugendlichen das wenige Grün im Ort, wünschten sich mehr Bäume und Blumenbeete und waren auch bereit, Patenschaften dafür zu übernehmen. Also, auch jenseits der vermuteten großen Themen gibt es Dinge, die für Jugendliche relevant sind. Wir wissen nur wenig darüber. Und wenn diese Anliegen dann sichtbar werden, dann sind sie manchmal bereits im Stadium des Protests und dann wird die Kommunikation nicht einfacher.
Nehmen wir Corona als Beispiel. Ich bin sicher, dass es junge Menschen gibt, die sich durch die Kontaktbeschränkungen einsam fühlen, die es nicht gut finden, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Jugendzentrum nicht ansprechbar sind, die Schwierigkeiten mit dem digitalen Unterricht haben. Das wird aber nirgendwo sichtbar. Wir müssen dafür sensibler werden.
ijab.de: Wie wollt ihr denn herausfinden, was junge Menschen für relevant halten?
Jürgen Ertelt: Der Arbeitstitel für unsere Software ist Jugenddetektor. Er soll in sozialen Medien herausfinden, was jungen Menschen wichtig ist, was Themen sind, die wir bisher nicht kennen, die neu sind. Das wirft natürlich jede Menge Fragen auf – rechtliche, Fragen des Datenschutzes, ethische Fragen. Was dürfen wir sehen, was dürfen wir verarbeiten? Wir haben uns eine Selbstverpflichtung bezüglich der Privatsphäre auferlegt – ohne die Zustimmung von Jugendlichen erfassen und verarbeiten wir nichts. Unsere Software wird also ein freundlicher Bot sein, der sich vorstellt, sich erklärt und um Zustimmung bittet. Der Bot wird auch immer einen Ansprechpartner benennen und erklären, wozu er dient. Das Konzept dazu stammt von Jugendlichen selbst. Im Rahmen eines Workshops von Jugend hackt haben sie die Architektur der Software entworfen. Der Jugenddetektor ist etwas anderes, als die Software, die üblicherweise Nutzerdaten in sozialen Medien auswertet und versucht, daraus geschäftlichen Nutzen zu ziehen. Unsere Software ist zu 100 % transparent und auf Kommunikation ausgerichtet.
ijab.de: Wer schreibt die Software?
Jürgen Ertelt: Das sind freiberufliche Programmierer und Programmiererinnen aus dem Umfeld der Open Knowledge Foundation, ein wichtiger Partner im Projekt.
ijab.de: In was sollen die gewonnenen Erkenntnisse münden? Der eigentliche Beteiligungsprozess steht dann ja noch aus.
Jürgen Ertelt: Wir werden die Themen, auf die wir stoßen, listen. Sie durchlaufen dann einen Validierungsprozess. Mit der App Snippet von beWirken werden wir Jugendliche befragen, ob die Themen der Liste für sie relevant sind und sie bitten, die Inhalte zu priorisieren. Wir müssen Zufälle ausschließen.
ijab.de: Wer wird die Themen dann aufgreifen, wenn die Liste steht?
Jürgen Ertelt: Alle, die es möchten. Relevant sind die Themen sicher für die Akteure der Jugendstrategie der Bundesregierung. Aber auch für Jugendpolitikerinnen und -politiker, für öffentliche Verwaltungen, für Ministerien – unabhängig vom Ressort –, für Jugendarbeit und Jugendverbände. Alle Daten werden als Open Data frei zugänglich sein. Wir werden die Ergebnisse zudem redaktionell aufarbeiten und zur Verfügung stellen. Außerdem möchten wir mit Jugendlichen über Barcamps zu den gefundenen Themen in einen Diskurs kommen.
ijab.de: Das klingt ziemlich ambitioniert. In welchem Zeitrahmen plant ihr?
Jürgen Ertelt: Die Beta-Version des Jugenddetektors soll bis Ende Juni bereitstehen. Sie kann dann getestet werden. Möglich ist das durch das große Engagement der Open Knowledge Foundation und des Vereins beWirken. Dann werden wir weitersehen. Der Bedarf, Jugendthemen zu erkennen und in Beteiligungsprozesse zu überführen, ist in jedem Fall da.