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Nordafrika

Extremismus betrifft uns alle

Internationaler Fachaustausch zur Radikalisierungsprävention

Vom 24. bis 28. Juni kamen Fachkräfte aus Deutschland, Spanien und Tunesien in Tunis zusammen, um neue Perspektiven für die Radikalisierungsprävention in der Jugendarbeit zu diskutieren. In unterschiedlichen Formaten haben sie sich ausgetauscht, voneinander gelernt und Projektbeispiele besucht. Einmal mehr hat dieser Austausch gezeigt, dass das Phänomen der Radikalisierung ein globales ist – und internationale Zusammenarbeit für Lösungsansätze benötigt.

03.07.2019 / Marlene Resch

33 Grad beim Abflug in Deutschland, bei der Ankunft in Tunesien herrschen ähnliche Temperaturen. Bereits beim Vorbereitungsseminar am Düsseldorfer Flughafen rauchen den deutschen Teilnehmenden daher die Köpfe. Die Gruppe aus Fachkräften der durch das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ geförderten Projekte blickt gespannt auf die kommenden Tage in dem nordafrikanischen Land. Egal ob Methoden, Materialien oder Metaebene – viele Fragen und Erwartungen haben sie im Gepäck, als sie in den Flieger in die tunesische Hauptstadt steigen.

Am nächsten Morgen kommt sie dann zum ersten Mal zusammen, die internationale Gruppe aus Fachkräften aus Tunesien, Deutschland und Spanien, die für das gemeinsame Projekt von IJAB, CCAB und Injuve ausgewählt wurden. Zeit, sich gegenseitig auf einen einheitlichen Informationsstand zu bringen: Wie sieht das Phänomen der Radikalisierung in den einzelnen Ländern aus?

Vorträge von Mustapha Chikh Zaouali, Michael Hebeisen, Quoc Viet Hoang und Jofre Montoto geben Einblicke in die Situation in den beteiligten Ländern sowie in das Feld der Radikalisierungsprävention vor Ort. Vom Aufstreben des Rechtsradikalismus in Europa, dem Phänomen der Radikalisierung sowie Hass im Internet macht diese erste Input-Session mit anschließender Diskussion direkt deutlich: Radikalisierung ist ein komplexes Thema – und es gibt viel Redebedarf.

Das Internet als Faktor der Radikalisierung

Von spanischer Seite her wird deutlich, wie erschüttert das Land vom plötzlichen Aufschwung der rechtspopulistischen Partei Vox ist. Bei den Wahlen im April 2019 gelangte die Partei mit 10,9 Prozent ins Parlament. Das Thema Rechtsradikalismus sei daher auch in der Jugendarbeit mehr in den Fokus gerückt. Der Kampf gegen religiös motivierte Radikalisierung in Spanien liege momentan vor allem in den Händen der Sicherheitsbehörden, erklären die spanischen Teilnehmenden.

In Tunesien sprechen die Zahlen Bände darüber, wie schwerwiegend das Problem der Radikalisierung ist. Allein bis Dezember 2015 waren rund 6000 Tunesier/-innen nach Syrien gereist, um sich dem IS anzuschließen. Besonders die Rolle des Internets betont Mustapha Chikh Zaouali. Durch das Internet sei die tunesische Gesellschaft und insbesondere die Jugend komplett neuen Einflüssen ausgesetzt.

Doch die Gefahren des Internets sind natürlich kein rein tunesisches Phänomen. An visuellen Beispielen erklärt Michael Hebeisen, wie in sozialen Medien gezielt mit Symboliken gespielt wird, die auf die jeweilige Zielgruppe und Plattformen wie Instagram und Youtube zugeschnitten sind.

Radikalisierungsprävention hat viele Gesichter

Eine Vorstellung der Kampagne „No Hate Speech“ zeigt im Anschluss, dass Präventionsprojekte sich auch international organisieren können, um lokal zu wirken: Das Programm des Europarats gegen Hate Speech gibt es beispielsweise in 45 Ländern – jeweils mit unterschiedlichen Angeboten wie Human Rights Trainings oder Kulturprojekten.

Am Nachmittag sind dann die Teilnehmenden selbst gefragt, ihre eigenen Projekte vorzustellen. Der „Markt“ führt die Vielfalt der Präventionsarbeit vor Augen. Von Arbeit in Jugendzentren, über Projekte gegen Antisemitismus und künstlerischen Formaten gegen Radikalisierung ist alles dabei. So arbeitet das Projekt „Kif-Kif: Comics for Inclusion“ des spanischen Vereins „Al Fanar“ beispielsweise mit Comics, in denen Kinder und Jugendliche die Geschichten zu den Bildern selbst gestalten können. Durch die Comics soll das Verständnis der Kinder für Interkulturalität und Akzeptanz von Muslim(inn)en gestärkt werden.

Hedia Abidi aus Tunesien erzählt von einem neuen Netzwerk-Projekt für Frauen: Mit einer Online-Plattform und gemeinsamen Treffen will sie Frauen fördern und sie auch im Umgang mit ihren Kindern unterstützen, um Radikalisierung entgegenzuwirken. „Wer eine Mutter glücklich macht, macht eine Familie glücklich und damit eine Gesellschaft glücklich“, sagt sie.

Für mehr Austausch dienen am nächsten Vormittag die „World-Cafes“. In Kleingruppen kommen Teilnehmende aus den drei Ländern zusammen. Diskutiert werden Ursachen von Radikalisierungen, Strategien für den Bereich der Primärprävention sowie Tools und Methoden für die Arbeit mit Jugendlichen.

Trotz der verschiedenen Landessituationen, scheinen es ähnliche Ursachen zu sein, die junge Menschen in die Radikalität treiben. Sozioökonomischer Status, Marginalisierung und fehlende Anerkennung sind Stichworte, die immer wieder fallen. Auch wenn ein Teilnehmer richtig bemerkt: „Es gibt nicht die eine Ursache, es sind immer mehrere Ursachen, die zusammenspielen.“

Methoden am eigenen Leib erfahren

Schnell wächst die Anzahl der Notizen auf den Flipcharts. Sie sind voll von Ideen, Ansätzen und Diskussionsstoff, der noch weitere Abende füllen könnte.  Doch schon steht der Bus bereit, der die Gruppe der praktischen Präventionsarbeit in Tunesien etwas näherbringen will. Der erste Besuch einer Institution, dem Youth House Khaznadar, steht an.
Hier können die Teilnehmenden Jugendarbeit und Methoden am eigenen Leib erfahren. Mit Teamer Sofien Bruguaddrur durchlaufen sie einen Workshop. Allein mit Schere, Kleber und Papier, gilt es einen möglichst hohen und stabilen Turm zu bauen – oder in gemeinsamer Teamarbeit mit eingeschränkten Sinnen ein Kuscheltier zu finden. Sofien erklärt seine Arbeit so: „Wir möchten jungen Menschen anregen, Neues zu entdecken und Dinge zu hinterfragen. Im Fokus steht dabei immer die Kommunikation: Das Ziel ist es ihnen gelungene Kommunikationswege durch Spiele aufzuzeigen.“
Seine Arbeit führt er jedoch nicht nur hier, im Youth House Khaznadar, durch. Er tourt auch mit dem Bus „Mobile Youth Unit“ durch Tunesien: So will er Jugendliche in sozial schwachen Regionen erreichen und dem Stadt-Land-Gefälle in Tunesien entgegenwirken.

Einmal wieder Kind zu sein und Spiele zu spielen, lockert die Gruppe auf und regt gleichzeitig eine Reflexion von sich selbst und den eigenen Methoden an. Anschließend gibt es auf dem Gelände des Youth House Khaznadar noch viel zu sehen: Denn neben den Förderprogrammen für Jugendlichen gibt es hier beispielsweise auch Kunst-, Journalismus- und Kochprojekte. Die Frauen und Jugendlichen vor Ort freuen sich über den Besuch und stehen den Gästen für Fragen und Antworten zur Verfügung. „Das ist es auch, was mich motiviert, hier als Freiwilliger aktiv zu sein: dass man immer wieder neue Leute kennenlernt“, erzählt eine der Aktiven.

Mit neuem Elan in weitere Projekte

Neben neuen Leute lernen die Teilnehmenden des Austauschprojektes auch das Land ein bisschen kennen und erkunden bei abendlichen Ausflügen die Medina und Sidi Bou Saïd. Auch der tunesische Partner, das CCAB, lädt noch in seine Räumlichkeiten ein, um dort verschiedene Projekte wie „Jasmin“ (Jeunesse Active pour une Société capable de promouvoir l'Employabilité et l’Inclusion) und „Pride“ (Prevention of Radicalisation through Intercultural Exchange and Dialogue) vorzustellen.

Der letzte Nachmittag steht dann ganz im Zeichen des Networkings – und des Blicks in die Zukunft. Mit einzelnen Übungen verdeutlichen die Teilnehmenden, in welche Richtungen sie international weiterarbeiten möchten und in Kleingruppen wird an neuen Projektideen gefeilt. Von Online-Kampagnen gegen Islamophobie bis zu einem Diversity-Camp ist hier alles dabei.

Beim Nachbereitungsseminar am Düsseldorfer Flughafen ist die Gruppe der deutschen Teilnehmenden gespannt, welche Ideen nun konkret angepackt werden. Eins ist klar: Es bleiben viele Eindrücke und neue Motivation: „Wir alle arbeiten mit einem ähnlichen Menschenbild und orientieren uns daran, was die Bedürfnisse der Jugendlichen sind. Das hat mich sehr bestärkt“, sagt einer der Teilnehmer am Ende.

Eine Frau spricht in ein Mikrofon auf einer Bühne, fünf weitere Menschen hören ihr zu.
Über die Zusammenarbeit mit Nordafrika

IJAB vernetzt die Träger im Austausch mit Tunesien, Ägypten und Marokko. Wir bieten Interessierten Information und Beratung zum Jugend- und Fachkräfteaustausch mit Nordafrika an.

Ansprechpartnerinnen
Christiane Reinholz-Asolli
Referentin für internationale jugendpolitische Zusammenarbeit
Tel.: 0228 9506-112