Jugendpolitik

Aufruf: digital100%Erasmus+

Träger fordern: Europäische Austauscharbeit darf nicht sterben!

Damit die europäische Austauscharbeit im Jahr 2021 nicht stirbt und wesentliche Innovationsmöglichkeiten jungen Menschen und jungen Erwachsenen europäisches Lernen zu ermöglichen zukünftig ungenutzt bleiben, sind alle im Jugendaustausch aktiven Menschen dazu aufgerufen, sich dafür einzusetzen, dass die Europäische Kommission Generaldirektion Bildung und Kultur, die Kürzung der Förderung digitaler Ersatzmaßnahmen für bereits aus dem alten Finanzrahmen bewilligte Maßnahmen zurücknimmt und im neuen Programm Erasmus+ die Förderung pädagogisch anspruchsvoller digitaler und hybrider Maßnahmen gleichwertig zu Begegnungen an einem Ort verankert.

31.03.2021 / Cathrin Piesche
Zwei junge Frauen sitzen in einer Hängematte Zwei junge Frauen sitzen in einer Hängematte

Der Aufruf erfolgt auf Initiative des Arbeitskreises deutscher Bildungsstätten (AdB) e.V.,  des Internationalen Bildungs-und Begegnungswerk e.V. (IBB), der Kindervereinigung Leipzig e.V. (kvleipzig-international.de), der Kreisau-Initiative e.V. und  des NaturKultur e.V. Der Aufruf im Wortlaut:

„Erasmus+ ist das erfolgreichste Mobilitätsprogramm der Europäischen Union. Erasmus+ leistet nachweislich, insbesondere auch durch die Angebote im Jugendbereich mit dem Programm Erasmus+ JUGEND IN AKTION, einen wichtigen Beitrag zum Zusammengehörigkeitsgefühl in der Europäischen Union und entfaltet große Potentiale im Bereich der Demokratieförderung und Stärkung der Zivilgesellschaft sowie der Jugendarbeit (vgl. RAY Zwischenevaluation).

Das Programm Erasmus+ JUGEND IN AKTION war in den letzten 30 Jahren ein Innovationstreiber für die Jugendarbeit in ganz Europa. Durch die aktuelle Handhabe der Covid-19 Regelungen für alternative digitale Begegnungen unter Erasmus+ sowie die unzureichende Unterstützung digitaler Begegnungen auch im neuen E+ Programm verliert es diese Rolle, da es die Erweiterung der Begegnungsarbeit um Mobilitäten im digitalen Raum nicht fördert.

Damit wird seitens der EU ein Innovationsfenster zugemacht, bevor es überhaupt richtig geöffnet werden konnte. Und die europäische Begegnungsarbeit wird massiv geschwächt, weil sie unflexibler wird. Zumal gerade postpandemisch Blended-Formate, die digitale Begegnungsformate und Begegnungen an einem Ort kombinieren, dem Austausch eine neue Qualität geben könnten.

In der gegenwärtigen Pandemie sind Begegnungsformate wie Jugendbegegnungen, Seminare, Trainings oder Fachkräftemaßnahmen zur methodischen Weiterentwicklung der europäischen Austauscharbeit physisch kaum mehr möglich. 2020 war die Hoffnung groß, dass ein Verschieben der Aktivitäten in den Sommer 2021 ausreicht. Ein Jahr wäre verloren, aber die Kontakte ließen sich halten.

Viele Organisationen haben schnell digitale Ersatzformate geschaffen. Darin wurden sie bis Juni 2020 mit sehr flexiblen Förderlösungen von den National Agenturen des Programms Erasmus+ JUGEND IN AKTION unterstützt. Im Juni 2020 entschied die Europäische Kommission allerdings, dass digitale Ersatzveranstaltungen nur noch mit 35% der Fördersätze bei Jugendbegegnungen und 15% der Fördersätze bei Fachkräftemaßnahmen (KA2) gefördert werden. Diese Entscheidung steht den Erfahrungen der Organisationen, die pädagogisch hochwertige digitale Ersatzmaßnahmen umsetzten, diametral gegenüber. Denn digital oder hybrid heißt in der Regel: teurer als eine Begegnung an einem Ort.

Die Taktik, Begegnungen weiter bis ins Jahr 2022 zu verschieben, hilft nicht nur aufgrund des auslaufenden Finanzrahmens nicht weiter. Zwei Jahre hintereinander ohne Maßnahmen hat zahlreiche weitere negative Effekte – sowohl für die europäischen Partnerschaften als auch vor Ort für Organisationen, die beispielsweise Teilnehmende und Teamer*innen über Peer-to-Peer Netzwerke rekrutieren, und nun zwei Generation und damit auch den direkten Draht zur Zielgruppe zu verlieren drohen. Daher ist es für viele Organisationen sehr wichtig, dieses Jahr sinnvolle digitale Ersatzangebote zu den internationalen Begegnungsmaßnamen machen zu können. Für die europäischen Partnerorganisationen kommt hinzu, dass insbesondere in Südeuropa viele Organisationen der Jugendarbeit in ihrer Existenz von den Fördermitteln aus dem Erasmus+ JUGEND IN AKTION Programm abhängig sind. Wenn dieses Jahr keine sinnvollen und ausreichend finanzierten Ersatzmaßnahmen durchgeführt werden können, drohen somit wichtige Strukturen des europäischen Jugendaustauschs wegzubrechen. Denn mit 35% oder 15% der normalen E+ Fördersätze sind diese digitalen und hybriden Maßnahmen schlicht nicht zu finanzieren.

Umfrage zum Umgang mit und zur Kostenstruktur digitaler Ersatzformate

Vor diesem Hintergrund haben sich vier Träger aus Sachsen, Nordrhein-Westfalen, Bremen und Berlin mit dem AdB - Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e.V. zusammengeschlossen und unter dem Motto „digital100%erasmus+“ eine Umfrage zum Umgang mit und zur Kostenstruktur digitaler Ersatzformate aufgesetzt. 40 Trägerorganisationen aus Deutschland haben sich beteiligt, die in der Regel gemeinsam jährlich 145 Jugendbegegnungen und Fachkräftetrainings (Leitaktion 1) durchführen, sich an 21 strategischen Partnerschaften (Leitaktion 2) beteiligen und 22 Maßnahmen zur Unterstützung politischer Reformen (Leitaktion 3) durchführten.

Die Ergebnisse der Umfrage stützen die Einschätzung, dass die Kürzung der Förderung digitaler Maßnahmen, dem europäischen Austausch massiv schadet und Innovation verhindert. Besonders schwerwiegend ist, dass auch im neuen Erasmus+ Programm digitale und hybride Maßnahmen nicht oder nur unzureichend finanziert werden. Wie die Umfrage zeigt, sind Maßnahmen, die die angestrebten Zielgruppen digital oder hybrid einbeziehen und mit innovativer Pädagogik europäischen Spirit und Zusammenhalt schaffen, zeit- und kostenintensiv und damit teuer.

Begeisterung für den europäischen Gedanken wird insbesondere durch die Begegnung mit Gleichaltrigen und die gemeinsamen Erfahrungen geweckt, wie beispielsweise: Interessen zu teilen, gemeinsam in Workshops etwas schaffen zu können, obwohl alle nur schlecht Englisch sprechen, und neue Freunde im Ausland zu finden. Alle diese Erfahrungen motivieren, sich für ein Miteinander in Europa einzusetzen. Um diese Erlebnisse in einem digitalen Setting zu schaffen, braucht es kreative und zeitlich flexible Formate mit Dolmetschern, Workshop-Leitungen in allen Ländern, Material für analoge Aktivitäten, über die man sich digital austauscht und, so pandemisch wie möglich, Treffen in Ländergruppen an einem Ort. Einfache und damit vermeintlich preiswerte Videokonferenzen schaffen keine Erlebnisse und damit auch keinen europäischen Spirit. Sie werden dem Anspruch non-formaler Bildung nicht gerecht.

Damit die europäische Austauscharbeit im Jahr 2021 nicht stirbt und wesentliche Innovationsmöglichkeiten jungen Menschen und jungen Erwachsenen europäisches Lernen zu ermöglichen zukünftig ungenutzt bleiben, sind alle im Jugendaustausch aktiven Menschen dazu aufgerufen, sich dafür einzusetzen, dass die Europäische Kommission Generaldirektion Bildung und Kultur, die Kürzung der Förderung digitaler Ersatzmaßnahmen für bereits aus dem alten Finanzrahmen bewilligte Maßnahmen zurücknimmt und im neuen Programm Erasmus+ die Förderung pädagogisch anspruchsvoller digitaler und hybrider Maßnahmen gleichwertig zu Begegnungen an einem Ort verankert.

[Quelle: Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten (AdB) e.V.]